Es ist ein trauriger Fakt, dass es in Deutschland viele Familien gibt, in denen die Kinder mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben wollen. Sie ignorieren jeglichen Kontaktversuch, reagieren nicht auf Briefe, blockieren Anrufe und sind im schlimmsten Fall sogar “unbekannt verzogen“. In vielen dieser Fälle wissen die Eltern noch nicht einmal, warum der Kontakt abgebrochen wurde, wie es so weit kommen konnte, dass sie für ihre Kinder buchstäblich “gestorben sind“ und vor allem, was der Auslöser war für den Todesstoß war. Das Schlimmste an einer solchen Situation: Die kontinuierlich zehrende Ungewissheit, das ständige Grübeln und Hinterfragen, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, die Leere der Gegenwart und die Aussichtlosigkeit auf einen familiären Kontakt in der Zukunft.
Die genaue Zahl der in Deutschland lebenden “Kinder“, die den Kontakt zu ihrem Elternhaus abgebrochen haben, ist nicht bekannt. Doch die Zahl der Gästebucheinträge, die die Selbsthilfegruppe “Verlassene Eltern“ in nur einem Monat auf ihrer Internetpräsenz für sich verbuchen konnte, ist gleichermaßen traurig und erschreckend. Denn hier haben sich innerhalb der ersten 30 Tage, die die Seite im Netz war, über 10.000 Menschen eingetragen.
Sehr oft betroffen – und vor allem am tiefsten getroffen – sind hier alleinerziehende Mütter. Denn sie haben und hatten immer das Gefühl, dass sie und ihre Kinder nichts und niemand jemals auseinander bringen können würde. Sie meistern die noch so schwierigsten Zeiten gemeinsam, müssen häufig mit limitierten finanziellen Mitteln zurechtkommen, bewältigen ganz nebenbei noch den Job, den Haushalt, die Erziehung und gegebenenfalls sogar schulische Probleme. Dann endlich sind die Kinder erwachsen und plötzlich: Wollen sie mit der eigenen Mutter nichts mehr zu tun haben.
Kein Wunder also, dass gerade eine Vielzahl der betroffenen, alleinerziehenden Mütter berichtet, dass sie ertrunken sind – in Kummer und Schmerz. Abserviert, ausrangiert und ausgeliebt aufs Abstellgleis geschoben. Wenn sie Glück hatten, haben sie noch einen Brief bekommen, in dem der Kontakt als beendet erklärt wurde. Im schlimmsten Fall allerdings ohne das erklärende WARUM.
Verlassene Eltern: Was tun, wenn Kinder den Kontakt abbrechen
So egoistisch es auch klingt: Besonders wichtig ist es für Mütter und Väter gleichermaßen, in solch einer Situation auch an sich selbst zu denken. Ziel muss es sein, sich wieder mehr auf sich selbst zu konzentrieren und nicht tagtäglich ohne Punkt und Komma die Gedanken um die Kinder kreisen zu lassen. Denn nicht selten schreiben Eltern Briefe über Briefe, die allesamt ungeöffnet zurückkommen oder den Vermerk “Annahme verweigert“ tragen. Dennoch trägt jeder Brief, den sie schreiben, die Hoffnung, diesmal entweder eine neue Chance oder zumindest eine endgültige Antwort zu erhalten. Doch mit jedem Brief, der zurückkommt, fallen die Eltern in ein bodenloses Nichts. Noch tiefer als beim Brief zuvor. Alles dreht sich nur noch um das Kind, das den Kontakt zu seinen Eltern nicht mehr haben möchte.
So weh es auch tut, an diesem Punkt sollten Eltern besser loslassen und sich auf sich und ihr eigenes Leben konzentrieren. Ganz gleich, wie schwierig das am Anfang erscheinen mag. Doch nach den ersten Schritten wird alles bekanntlich immer leichter. Deshalb dürfen die restliche Familie und der Freundeskreis nicht vernachlässigt werden. Denn sie spannen das Netz, das Eltern in ihrem gefühlsmäßigen freien Fall auffängt. Soziale Kontakte pflegen, Kultur erleben oder einfach seinem Hobby nachgehen. Wer anfängt, wieder aktiv sein eigenes Leben zu leben und sich durch den Kontaktabbruch nicht in eine kontinuierliche Warteposition drängen lässt, wird zwar immer noch Trauer, Wut und Verzweiflung in sich spüren, doch es wird auf Dauer wesentlich einfacher, damit umzugehen. Und auch der Schmerz wird erträglicher. Deshalb kann die Devise für verlassene Eltern nur lauten: An sich selbst denken und leben!
Auch Selbsthilfegruppen können verlassenen Eltern helfen
Doch auch, wenn verlassene Eltern ihr Leben wieder selbst in den Angriff nehmen und in den Griff bekommen, bleibt der Austausch wichtig. Manchmal sind jedoch gerade Familie oder Freunde nicht die richtigen Gesprächspartner – einfach, weil sie nicht nachvollziehen können, wie es ist, als Eltern von den eigenen Kindern verlassen und ausgegrenzt zu werden. Denn der wohl schlimmste Gedanke – gerade bei Müttern – ist wohl der, dass sie ihr Kind, dass sie geboren, groß gezogen und geliebt haben und das immer ein Teil von ihnen bleiben wird, nie mehr hören oder sehen werden. In solchen Fällen kann eine Selbsthilfegruppe helfen, die es mittlerweile in vielen Städten gibt. Denn als Eltern von den Kindern verlassen zu werden, ist leider alles andere als ein trauriger Einzelfall. Auch in einer solchen Selbsthilfegruppe wird sich das WARUM nicht klären oder finden lassen, da die einzigen, die das WARUM kennen, die Kinder sind. Trotzdem kann es helfen, sich mit ebenfalls Betroffenen auszutauschen. Denn bekanntlich ist geteiltes Leid halbes Leid.
- Vaillant, Maryse (Autor)
- Döring, Dorothee (Autor)
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