Fast schon normal, dass die lieben Kleinen bei den Großeltern nach Strich und Faden verwöhnt werden und jede von den Eltern aufgestellte Erziehungsregel konsequent ignoriert oder raffiniert umgangen wird! Was bei Oma und Opa oftmals jedoch mit einem gedanklichen „Da wollen wir wohl mal wieder ein Auge zudrücken“ hingenommen wird, kann in einer Beziehung hingegen den Haussegen merklich schief hängen lassen. Nämlich dann, wenn sich die Eltern in Erziehungsfragen nicht einig sind und an zwei verschiedenen Enden, statt an einem Strang ziehen. Das Kind dabei völlig orientierungslos mittendrin. Denn was es bei Papa darf, darf es bei Mama oftmals noch lange nicht – und umgekehrt.
Dass eine konsequente Erziehung wichtig für Kinder ist, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Sie brauchen Regeln und Strukturen, innerhalb derer sie sich bewegen und in Folge dessen frei entfalten können. Doch wie wenig sich Eltern in Erziehungsfragen einig sind, zeigt sich leider oftmals erst, wenn es wirklich etwas zu erziehen gibt. Sprich: Die Tücken zeigen sich erst im gemeinsamen Alltag – mindestens zu dritt.
Nicht selten orientiert man sich bei der Erziehung seines Kindes intuitiv an der eigenen Erziehung. Und so fällt wohl auch in jeder Partnerschaft oft genug – vor allem dann, wenn man gerade etwas gemacht hat, was der Partner nicht für richtig hält – der sich selbst verteidigende Satz: „Mir hat das als Kind auch nicht geschadet.“ Der angesprochene Partner denkt sich dann als Antwort wohl insgeheim auch nur: „Anscheinend ja doch, wie man gerade merkt!“
Richtig oder falsch gibt es nicht
Ein “richtig“ oder “falsch“ gibt es nicht, wenn die Eltern sich grundsätzlich über eines im Klaren sind. Nämlich darin, dass die Erziehungsaufgabe eine gemeinsame Aufgabe ist! Dabei geht es nicht darum, alles einheitlich, konform oder absolut identisch zu machen, sondern darum, den gemeinsamen Erziehungszielen zu folgen.
Jeder auf seine Art! Denn beide – sowohl Mutter als auch Vater – müssen erst die Elternrolle finden, in der sie sich wohl fühlen. Heißt: In der sie auch weiterhin sie selbst sein und bleiben können. Denn: Männer und Frauen sind nicht nur verschieden, sie erziehen auch unterschiedlich. Und das ist im Prinzip gut so! Denn eigentlich wollen beide dasselbe: Das Beste für ihr das Kind – auch wenn die Vorstellungen dessen, was denn nun das Beste ist, manchmal ein wenig auseinander gehen.
Beispielsweise ist es in der Praxis häufig so, dass insbesondere derjenige, der weniger Zeit mit dem Kind verbringt, den Anschein erweckt, die Erziehungsregeln des anderen nicht selten aus purer Absicht zu untergraben. Natürlich kann dahinter eine Absicht stecken, aber in den meisten Fällen keine böse. Oftmals möchte sich der Elternteil, der weniger Zeit für das Kind hat, nur eindeutig positionieren.
Zum Beispiel strenger als der andere Elternteil, damit er trotz zeitlicher Abwesenheit maßgeblich an der Erziehung des Kindes teilnimmt, oder aber wesentlich nachsichtiger, um in der wenigen Zeit mit dem Kind ganz aufgehen zu können und diese nicht mit der Einhaltung von Geboten oder Verboten verbringen zu müssen.
Beides hat mit Sicherheit seine Berechtigung, ist aber auf Dauer weder für das Kind noch für die Paarbeziehung gesund. Zumindest dann nicht, wenn das Kind zwischen den Fronten steht und nicht weiß, auf wen es nun hören soll. Auf den Elternteil, der erlaubt oder auf den, der verbietet. Nicht falsch verstehen: Eltern müssen und sollen die Erziehungsziele unterschiedlich umsetzen, aber so, dass weder das Kind noch die Beziehung darunter leidet.
Tipps für den Alltag
1. Die Faustregel für den Alltag
Als Faustregel für den Alltag gilt: Derjenige, der die meiste Zeit mit dem Kind verbringt und dementsprechend den Großteil der täglichen Erziehungsarbeit leistet, sollte auch die für den Alltag des Kindes geltenden Regeln aufstellen und durchsetzen dürfen. Heißt beispielsweise für das abendliche Zu-Bett-Gehen: Wenn um 19:30 Uhr Schlafenszeit fürs Kind ist, dann ist um 19:30 h Schlafenszeit! Daran sollte sich dann auch der andere Erziehungspartner halten – ganz gleich, ob vorher gelesen, gekuschelt oder getobt wird (siehe auch Pkt.2)
2. Ausnahmen bestätigen die Regel
Wenn beispielsweise die Mutter in der Regel darauf achtet, dass das Kind schon eine Stunde vor dem Zu-Bett-Gehen ein wenig zur Ruhe kommt, damit es nicht mehr so aufgedreht ist, kann es sein, dass der Vater die Zeit lieber noch intensiv nutzen und mit dem Kleinen über Couch und Kissen toben möchte. Auch das sollte als Ausnahme gestattet sein. Denn beide Varianten sind okay, solange derjenige, der das Kind hochschaukelt auch derjenige ist, der es wieder herunter- und vor allem auch ins Bett bringt.
3. Entscheidungen mit Gewicht
Ebenso gibt es im Alltag mit Kindern 1.789 Dinge, die einen auf die Palme bringen können. Nicht immer beide Elternteile, aber oftmals genug einen von ihnen: Die Kleinen räumen ihr Zimmer nicht auf, sitzen zu viel vor dem Fernseher, bewegen sich nicht genug, sind nicht oft genug draußen, spielen zu viel am Computer, matschen mit ihrem Essen, sprechen mit vollem Mund und so weiter und so weiter.
Wenn der eine Elternteil es gelassen sieht, der andere Elternteil hingegen wegen einer dieser Verhaltensweisen regelmäßig aus der Haut fahren könnte oder sich ihm einfach permanent die Nackenhaare aufstellen, dann sollte dieser auch die entsprechende Verhaltensregel aufstellen dürfen, aber auch gleichermaßen für die konsequente Umsetzung verantwortlich sein.
4. Wissen ist Macht
Natürlich ist es in den meisten Fällen so, dass ein Elternteil wesentlich besser über die kindliche Entwicklung informiert ist, als derjenige, der weniger Zeit mit ihm verbringt. Ganz einfach, weil dieser das Kind hauptsächlich betreut. Dennoch gibt es oft genug die Gelegenheit, teilweise auch die Notwendigkeit, Termine aufzuteilen. Dazu zählen Arztbesuche, Elternabende oder Elternsprechtage, Veranstaltungen im Sportverein, der Musikschule und viele andere mehr.
In diesen Fällen sollte der Elternteil die weiterführenden Regeln bestimmen dürfen, der den entsprechenden Termin wahrgenommen hat. Beispielsweise, wenn der Musikschullehrer über mangelnde Vorbereitung klagt, der Klassenlehrer über nicht gemachte Hausaufgaben, der Nachbar über zu laute Musik in der Mittagszeit, der Zahnarzt über schlecht geputzte Zähne.
Wichtig ist also, dass Eltern weiterhin individuell und ihrer eigenen Intuition folgen dürfen. Immer aber respektvoll und kompromissbereit gegenüber dem Partner sowie verantwortungsvoll und konsequent gegenüber dem Kind. Das genau ist es, was das Kind braucht. Es muss verstehen können, warum Mama und Papa nicht alles gleich machen.
Warum bei dem einen erlaubt, was bei dem anderen verboten ist, obwohl beide “angeblich“ doch nur sein Bestes wollen. Für Kinder ist diese Auseinandersetzung wichtig. So lernen sie nicht nur, dass man ein und dieselbe Sache unterschiedlich angehen kann, sie lernen auch, dass es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele Schattierungen dazwischen gibt.
Und wenn ein Kind versteht, dass bei Mama und Papa nicht immer alles gleich erlaubt oder verboten ist, kann es sich darauf sehr gut einstellen – ganz ohne die Eltern gegeneinander auszuspielen. Denn ein solches Verhalten liegt definitiv nicht in der Natur von Kindern!
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