Die besten Ideen liegen auf der Straße. Das muss sich wohl auch die deutsche Autorin Kerstin Gier gedacht haben, als sie ihre Trilogie “Die Mütter-Mafia“ entwickelt und geschrieben hat. Kein Wunder, denn es gibt sie wirklich: „…die perfekten Mamis und Bilderbuch-Mütter, die sich nur über Kochrezepte, Klavierunterricht und Kinderfrauen austauschen. Doch eigentlich sind sie der Albtraum jeder Vorstadtsiedlung.“ (Auszug aus dem Klappentext, Bd. 1, Die Mütter-Mafia, von Kerstin Gier, erschienen bei Lübbe).
In Wahrheit ist es sogar noch viel schlimmer, denn das Konkurrenzdenken unter Müttern ist nicht nur in Vorstadtsiedlungen, sondern insgesamt sehr groß. Dem kann man auch nicht entgehen, denn es liegt in der menschlichen Natur, seinen Gegenüber eingehend zu begutachten und sich, das eigene Auftreten sowie die eigenen Leistungen mit ihm zu vergleichen. Manches Mal sehr bewusst, manchmal auch einfach nur unbewusst.
Die gute Nachricht: Kein Mensch ist davor wirklich gefeit. Die schlechte Nachricht: Mütter oder Väter sind davon umso mehr betroffen. Insbesondere dann, wenn sie “nur“ Hausfrau und Mutter bzw. Hausmann und Vater sind.
Wenn Mütter auf Mütter treffen
Mit dem eigenen Kind wird nicht nur das eigene Glück perfekt, sondern auch die eigene Unzulänglichkeit ans Tageslicht gezerrt. Denn die Frage aller Fragen ist doch: Wie gut sind Sie als Mutter wirklich? Auch wenn Sie bisher der Überzeugung waren, dass Sie das eigentlich ganz gut hinbekommen und irgendwie sogar ein bisschen stolz auf Ihre Mutterqualitäten waren, in letzter Konsequenz zählen nur die sichtbaren Ergebnisse Ihres Kindes. Zumindest bei den Müttern, auf die Sie fortan treffen werden. Ganz gleich, ob
– in der Krabbelgruppe
(Wie, Ihr Kind kann noch gar nicht krabbeln? Hinkt es da in seiner Entwicklung nicht ein wenig hinterher? Unser Julius fing ja schon mit vier Monaten zu krabbeln an. Sehr früh, ja, aber er ist sowieso sehr weit für sein Alter. Na ja, aber vielleicht kommt das bei Ihrem Kleinen ja auch bald, sonst sollten Sie auf jeden Fall mal den Kinderarzt konsultieren)
– im Kindergarten
(Welche Sprachen kann Ihr Kind denn schon? Nur Deutsch? Keine weitere Fremdsprache? Also unsere Laura spricht mit ihren vier Jahren schon drei Sprachen. Ich bin wirklich froh, dass die Kleine so sprachbegabt ist, da die Mehrsprachigkeit doch immer wichtiger wird. Und welche Talente hat Ihr Kind?)
– auf dem Spielplatz
(Entschuldigung, aber ist das Ihre Tochter, die jetzt schon die ganze Zeit auf der Schaukel ist? Also nicht, dass Sie das falsch verstehen, aber normalerweise wechseln sich die Kinder hier ab, da es ja leider nur diese eine Schaukel gibt. Unsere Sophie hat das Teilen schon sehr früh durch Ihren Bruder gelernt. Ihre Kleine ist bestimmt Einzelkind, oder?)
– oder im Wartezimmer des Kinderarztes
(Normalerweise schläft Elias schon seit Wochen durch. Dabei ist er gerade mal ein Jahr alt geworden. Aber heute Nacht ist er so oft wach geworden und ist auch insgesamt so quengelig, dass ich besser mal nachschauen lasse, ob wirklich alles in Ordnung ist. Ihr Kleiner schläft doch bestimmt auch schon durch, oder? Immer noch nicht? Sie Arme!)
Das, was Ihr Kind kann und das, was Ihr Kind nicht kann, entscheidet darüber, wie Ihre mütterlichen Qualitäten eingestuft werden. Ist das nicht ein Traum? Ja, aber leider wohl eher aus der Kategorie Albtraum!
Wie sollen gerade jüngere Eltern bzw. Eltern, die ihr erstes Kind bekommen haben, hier Sicherheit und Selbstvertrauen gewinnen, wenn ihnen permanent suggeriert wird, das sie eigentlich alles falsch machen, weil ihr Kind dies und das noch nicht kann? Irgendwer muss schließlich die Schuld daran tragen. Und wer kommt dafür besser in Frage als die Eltern? Offensichtlich sind sie nicht interessiert genug, nicht gebildet genug, nicht konsequent genug, nicht pädagogisch fundiert genug oder auf den Punkt gebracht: für das Kind einfach nicht gut genug!
DAS Patentrezept, um Kinder richtig zu erziehen
Eigentlich sollte jede Mutter wissen, dass sich die Entwicklung ihres Kindes nach dessen eigenen Tempo richtet, bestimmte Entwicklungsschritte also nicht vorangetrieben werden können, weil sie einfach ihre Zeit brauchen. Dennoch verunsichert es die ein oder anderen, dass andere Kinder bereits windelfrei sind, eigenständig das Töpfchen benutzen, nachts durchschlafen oder von Anfang an zweisprachig erzogen werden.
Auch wenn das noch lange nicht bedeutet, dass man deshalb etwas falsch gemacht hat, nagt dieses Wissen nicht selten am eigenen Selbstwertgefühl. Insbesondere deshalb, weil es für die “richtige Erziehung“ kein Patentrezept gibt. Im Gegenteil: Wohl noch nie war es so schwierig wie in der heutigen Zeit, zu entscheiden, welchen erzieherischen Weg man geht. Die Möglichkeiten sind vielfältig und immer wieder verwerfen neue wissenschaftliche Untersuchungen das, was gestern noch als Nonplusultra galt. Gerade bei erziehungspädagogischen Konzepten scheint sich nicht selten der Spruch zu bewahrheiten: Heute ist morgen schon gestern.
Hinzu kommt, dass die Kindererziehung nicht nur ein sehr sensibles, sondern auch ein sehr persönliches Thema ist. Wird das Kind kritisiert, wird gleichzeitig auch seine Erziehung kritisiert, wodurch sich eine Mutter oder eine Vater verständlicherweise persönlich angegriffen fühlt.
Das Kind als Maßstab für das eigene Selbstwertgefühl
Genau aus diesem Grund werden – obwohl man es eigentlich nicht machen sollte – Kinder miteinander verglichen. Sie sind der Mittelpunkt, um den sich alles dreht, sie bilden den Radius, um den es geht, sie setzen den Maßstab für das eigene Selbstwertgefühl der Mutter oder des Vaters. Egal, auf welcher Seite Sie stehen – auf der Seite der Bilderbuch-Mamis, die immer alles richtig und perfekt machen wollen oder auf der Seite der Unperfekt-Mamis, die alles nicht so eng sehen und dementsprechend locker angehen –, Sie sind Teil eines Konkurrenzdenkens, bei dem selbst Wirtschaftsbossen schwindelig werden würde.
Herzlich willkommen also auf dem Minenfeld der Kinderziehung, auf dem Sie nur ausweichen oder explodieren können. Denn über nichts lässt sich so viel streiten wie über die Erziehung unserer Kinder. Und das alles allein aus dem einzigen Grund, dass es kein Patenrezept gibt, um Kinder richtig zu erziehen.
Foto: © Kzenon Adobe Stock
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