Timmy hockt traurig vor seinem Bett und kickt mit den Füßen vor die auf dem Boden liegenden Autos. Missmutig betrachtet er die dunkelblaue Zuckertüte, die auf seinem Schreibtisch liegt. Genau die Zuckertüte, die er nicht haben wollte. Er hatte es seiner Mama in dem Geschäft doch extra noch gesagt und ihr sogar die Schultüte gezeigt, die ihm viel, viel besser gefallen hatte: die leuchtende Rote mit den vielen bunten Flugzeugen darauf. Wie hatte er sich darauf gefreut, mit dieser tollen Zuckertüte im Arm, das erste Mal in die Schule zu gehen.
Aber vorhin, nach dem Abendessen, ist Timmys Mutter in sein Zimmer gekommen und hat ihm für seinen morgigen ersten Schultag die blaue Zuckertüte auf den Schreibtisch gelegt. Und was hat Timmy gemacht? Er hat so getan, als ob er sich riesig darüber freuen würde. Doch innerlich ist ihm jetzt zum Weinen zumute.
Timmy steht vom Fußboden auf und geht zu seinem Schreibtisch. Er legt den Kopf in den Nacken und betrachtet die Zuckertüte noch einmal genauer. „Sie ist einfach nur blau“, brummt er vor sich hin und dreht sie in alle Richtungen. Nein, es ist kein einziges Flugzeug, kein Auto und auch kein anderes Bild darauf. Sie ist und bleibt einfach nur blau. Timmy ist so traurig, dass er noch nicht einmal wissen möchte, was sich im Inneren der spitzen Tüte verbirgt. Denn die Zuckertüte heißt ja Zuckertüte, weil sie mit ganz vielen Dingen gefüllt ist, mit denen den i-Männchen ihr erster Schultag versüßt werden soll.
Niedergeschlagen legt sich Timmy auf sein Bett und vergräbt seinen Kopf in den bunten Kissen. Er hat wirklich keinen Spaß an dieser langweiligen Zuckertüte – und eigentlich möchte er auch gar nicht mehr eingeschult werden. Woher soll er auch wissen, wie gerne seine Mutter ihm die andere Schultüte, die leuchtend Rote mit den bunten Flugzeugen darauf, gekauft hätte. Aber als seine Mama in das Geschäft kam, war diese Zuckertüte leider nicht mehr da. Erst als seine Zimmertür sich öffnet, lugt Timmy wieder unter den Kissen hervor.
Herein kommt seine Lieblingsoma Ilse. Er hatte das Klingeln an der Wohnungstür unter den vielen Kissen gar nicht gehört. Oma Ilse setzt sich zu ihrem Enkel auf die Bettkante. „Bist du krank?“, fragt sie besorgt. „Nein, Omi“, antwortet Timmy leise. Seine Oma schaut Timmy skeptisch an. „Und warum liegst du dann so früh schon im Bett? Bist du denn kein bisschen nervös vor deinem ersten Schultag?“
„Ach Omi“, antwortet Timmy und zeigt nun stumm auf die blaue Schultüte. Oma Ilse schaut auf den Schreibtisch und weiß gar nicht, was ihren kleinen Enkel so traurig stimmt. „Hey“, versucht sie ihn aufzumuntern, „Du hast ja schon deine Zuckertüte bekommen, die ist aber toll.” „Nein, ist sie nicht“, schmollt Timmy, „Ich hätte doch so gerne die rote Zuckertüte mit den vielen bunten Flugzeugen bekommen.“
Er dreht seinen Kopf zur Seite und winzig kleine Tränen schimmern in seinen Augen. „Ach so ist das“, denkt Oma Ilse laut nach. Jetzt habe ich richtig Angst, dir mein Geschenk zu geben. Vielleicht gefällt es dir doch nicht mehr, obwohl du es dir gewünscht hast.“
Blitzschnell dreht sich Timmy wieder zu seiner Oma: „Ist es der Malkasten, den du mir kaufen wolltest?“, fragt er, und ein erwartungsvolles Lächeln macht sich in seinem Gesicht breit. Oma Ilse lacht: „Ja, es ist ein Malkasten und er sieht genauso aus wie der, den du dir gewünscht hast, aber es ist trotzdem ein anderer, ein besonderer Malkasten. Und weißt du auch warum?“ Timmy schüttelt den Kopf und wartet darauf, dass seine Großmutter weiter erzählt.
„In diesem Malkasten hier“, erklärt seine Oma und holt dabei das Geschenk aus ihrer Tasche, „sind Zauberfarben.“ „Zauberfarben?“, fragt Timmy ungläubig. „Ja, Zauberfarben, sieh einfach ’mal nach“, antwortet die Oma und reicht Timmy den Malkasten. Neugierig greift Timmy nach seinem Geschenk und öffnet es.
Eine bunte Palette von Farben erscheint, aber Zauberfarbe kann er beim besten Willen nicht entdecken. „Aber das ist doch genau der Malkasten, den ich haben wollte“, jubelt Timmy und dreht sein Geschenk in den Händen hin und her. „Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht – genau wie deine Zuckertüte“, antwortet Oma Ilse, gibt ihm einen Kuss auf die Wange und geht aus dem Zimmer.
Timmy denkt angestrengt nach: „Wieso wie meine Zuckertüte? Die blaue habe ich doch wirklich nicht haben wollen.“ Er schaut abwechselnd zwischen dem Malkasten in seinen Händen und der Zuckertüte auf seinem Schreibtisch hin und her. Plötzlich beginnen die Farben im Malkasten noch mehr zu leuchten und schwupps – springt der Pinsel in Timmys Hand.
Timmy schaut sich erstaunt um, aber Angst hat er nicht, denn schließlich hat seine Oma ja bereits gesagt, dass dies ein Zaubermalkasten sei. Und plötzlich hat Timmy eine Idee: Er läuft zu seinem Schreibtisch, knipst die Leselampe an und beginnt zu malen. Nach und nach steigen Flugzeuge auf, Autos fahren umher, Züge rattern vorbei und passieren dabei in rasanter Geschwindigkeit die umstehenden, ebenfalls auf der Zuckertüte erscheinenden Häuser. Sogar bunte Luftballons gesellen sich dazu.
Es ist schon spät und endlich ist Timmy fertig. Strahlend betrachtet er sein Werk: Seine leuchtend blaue Zuckertüte, die nun einzigartiger ist als jede Zuckertüte, die er jemals zuvor gesehen hat. „Das ist genau der Malkasten, den ich haben wollte, und die Zuckertüte ist es auch! Nein“, überlegt er schläfrig, „diese Zuckertüte hier ist noch viel bunter und viel, viel schöner als die Rote aus dem Geschäft.“ Mit diesen Gedanken und einem seligen „Danke Mama, danke Oma“ schläft Timmy erschöpft, aber glücklich und voller Vorfreude auf seinen ersten Schultag auf seinem Stuhl ein.
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