Kaiserschnittbabys haben im Vergleich zu natürlich geborenen Säuglingen ein verändertes Mikrobiom. Um das Immunsystem dieser Kinder gezielt zu stärken, hat sich in der Medizin ein neuer Trend etabliert, der sich nun mittlerweile aus Amerika und Australien immer mehr den Weg auch in europäische Geburtsstationen bahnt.
Der Fachbegriff „Vaginal Seeding“ kommt aus der englischen Sprache und bedeutet übersetzt in etwa „Bakterien-Dusche“. Dieses medizinische Verfahren bei Säuglingen ist noch recht neu und wissenschaftlich noch nicht viel untersucht.
Alle Eltern wünschen sich gesunde Babys mit einer starken Immunabwehr, doch was bringt das Einreiben des Kindes mit Vaginalsekret tatsächlich und welche möglichen Risiken birgt diese Methode? In diesem Beitrag erfahren Sie alles Wichtige zu diesem Thema.
Vaginal Seeding: Ein Trend inspiriert von der Natur
Die Methode des Vaginal Seedings möchte das Vorgehen der Natur perfekt nachahmen. Eine Geburt ist nämlich etwas sehr Natürliches, ein Vorgang, bei dem sozusagen an alles gedacht wurde.
Kaiserschnittentbindungen werden in den letzten Jahrzehnten immer häufiger. Heutzutage kommt ungefähr jedes dritte Kind per Kaiserschnitt auf die Welt. Durch die Bauchdecke wird das Neugeborene in einem sterilen OP-Kreißsaal geboren. Es kommt also mit keinerlei Bakterien in Berührung. Ganz anders sieht es hingegen bei den Säuglingen aus, die über den vaginalen Geburtskanal das Licht der Welt erblicken: Sie kommen mit Vaginalsekret sowie zahlreichen Darmbakterien in Kontakt – darunter sogar 200 verschiedene Arten von Laktobazillen (Milchsäurebakterien). Diese werden dann über die Haut und sogar oral aufgenommen.
Diese Mikroorganismen sollen laut Wissenschaftlern positive Wirkungen auf das Immunsystem des Kindes haben. So soll das Risiko einer Allergie, einer Diabetes- oder Asthmaerkrankung bei vaginal geborenen Babys um ein Vielfaches niedriger sein als bei Kaiserschnittkindern.
Vaginal Seeding – wie funktioniert das eigentlich?
Wie gesagt, soll durch das Vaginal Seeding das Immunsystem von Kaiserschnittbabys gestärkt werden.
- Kurze Zeit vor der Entbindung wird ein Tupfer oder eine Mullbinde in eine sterile Kochsalzlösung getränkt. Diese wird dann in die Scheide der Schwangeren eingeführt.
- Diese kann sich dann mit dem Sekret vollsaugen und all die gesunden Keime und Bakterien des Darmes aufnehmen.
- Nach der Geburt wird dann das neugeborene Baby damit eingerieben oder sogar in den Verband gewickelt.
- Die Keime aus dem Geburtskanal sollen sich so auf den Säugling übertragen.
Welche Auswirkungen hat Vaginal Seeding auf das Immunsystem von Neugeborenen?
Es steht eindeutig fest, dass Kaiserschnittbabys häufiger unter Darmerkrankungen, Allergie-, Immunschwäche- und Asthmabeschwerden leiden als Kinder, die natürlich geboren werden (vgl. Sevelsted et al. 2015). Durch die Methode „Vaginal Seeding“ soll genau das nun verhindert werden, indem ein natürlicher Geburtsvorgang simuliert wird.
Welchen Effekt haben Geburtsbakterien auf die Immunabwehr?
Wissenschaftlichen Forschungen zufolge wächst das Baby im Bauch der Mutter komplett keimfrei heran und besteht zu 100 % aus menschlichen Körperzellen. Mit der Geburt verändert sich das komplett: Sowohl auf der Haut wie auch auf der Darmflora tummeln sich Millionen von Mikroorganismen.
Die Gesamtheit aller mikrobiellen Mitbewohner des Körpers wird als Mikrobiom bezeichnet und die Zusammensetzung dieses Mikrobioms bestimmt die Lebensqualität entscheidend mit. Die richtige Besiedelung wirkt sich also sehr positiv aus – auf die Entwicklung, den allgemeinen Gesundheitszustand und die Verdauung.
Hingegen kann eine Fehlbesiedelung – eine sogenannte Dysbiose – krank und unglücklich machen. Welche genauen Folgen die Darmflora jedoch auf das menschliche Leben hat, wird derzeit von Forschern noch umfassender untersucht, doch die tatsächlichen Auswirkungen scheinen weitreichender zu sein, als ursprünglich angenommen!
Im menschlichen Ökosystem übernehmen diejenigen Mikroorganismen die Führung, die zuerst in den Organismus gelangen. Diese ersten Bakterien besiedeln den bislang unbewohnten Lebensraum und können sich ungehindert vermehren und ausbreiten.
Kaiserschnittbabys haben ein höheres Allergiepotenzial
Dieses Hintergrundwissen erklärt nun, weshalb Kaiserschnittkinder im Allgemeinen anfälliger für Allergien und diverse Erkrankungen sind:
- Die ersten Bakterien, mit denen die Säuglinge in Berührung kommen, sind Hautkeime sowie verschiedene OP-Mikroben.
- Insbesondere für die Darmflora der Neugeborenen ist das nicht sehr förderlich.
- Rund 80 % der Immunabwehrzellen befinden sich im Darm: Somit ist dieses Organ ein bedeutender Bestandteil des gesamten Immunsystems. Das verdeutlicht sehr gut, wie wichtig eine artenreiche Darmflorabesiedelung für Säuglinge doch ist.
Im Vergleich dazu kommen natürlich entbundene Babys mit einem artenreichen „Bakterien-Cocktail“ aus Darm und Scheidensekret in Berührung. Diese Bakterien sind den Mikroorganismen im Darm sehr ähnlich und haben sich im Laufe jahrelanger Forschung als sehr wertvoll und nützlich erwiesen.
Das Immunsystem neugeborener Säuglinge
- Direkt nach der Geburt ist das Immunsystem eines Neugeborenen noch ziemlich schwach. Es muss also noch deutlich reifen, um eine leistungsstarke Abwehr gegen krankmachende Keime und Erreger bieten zu können.
- In den ersten Monaten des Lebens haben Säuglinge einen sogenannten „Nestschutz“. Ihre Immunabwehr besteht aus Antikörpern der Mutter, die sie in den letzten Wochen der Schwangerschaft aufgenommen haben.
- Bei einer natürlichen Geburt kommen die Kleinen zudem mit wertvollen Keimen der Darm- und Scheidenflora in Kontakt. Auch das sorgt für eine zusätzliche Immunabwehrkräftigung.
- Wenn frischgebackene Mütter ihr Baby mit Muttermilch stillen, versorgen sie es zusätzlich mit wertvollen Abwehrstoffen.
- Im Laufe der Zeit wird der Nestschutz der Babys dann zunehmend schwächer und der kleine Organismus beginnt das eigene Immunsystem zu aktivieren. Das bedeutet auch, dass das Baby erste leichte Infekte durchmacht, doch diese sind sehr wichtig, denn sie trainieren sozusagen das „Gedächtnis des Immunsystems“.
Welche möglichen Risiken birgt das Vaginal Seeding?
Der Sekrettransfer aus der Vagina auf die Haut – und unter Umständen auch in den Mundraum des Kindes – kann auch gefährliche Keime beinhalten. So könnten beispielsweise B-Streptokokken, Erreger von Geschlechtserkrankungen oder Herpesviren übertragen werden.
Vor dem Vaginal Seeding sollten zudem immer mögliche Infektionserkrankungen der werdenden Mutter noch vor der Geburt sorgfältig abgeklärt werden. In diesem Zusammenhang sollte also unbedingt mit dem behandelnden Frauenarzt oder der Hebamme Rücksprache gehalten werden.
Was sagt die Medizin? – Experten & Studien über das Vaginal Seeding
In den Vereinigten Staaten sowie in Australien ist das Vaginal Seeding bereits weit verbreitet. Hier in unserem Land wird die Methode allerdings noch kritisch betrachtet und eher selten angewendet. Bis heute gibt es nur sehr wenige wissenschaftlich fundierte Grundlagen für die Wirksamkeit dieses Geburtshilfe-Trends. Es konnte bislang noch nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass das Vaginalsekret der Mutter tatsächlich eine positive Wirkung auf das neugeborene Baby hat.
Die Meinungen der Wissenschaftler gehen hier also noch weit auseinander. Einige medizinische Experten warnen sogar davor, das Vaginal Seeding anzuwenden.
Forschungsstudie der New York University
Bis heute beschäftigen sich Mediziner weltweit mit der Fragestellung, ob das Vaginal Seeding tatsächlich eine Wirkung besitzt und als ungefährlich für das Neugeborene eingestuft werden kann.
Das Forscherteam um Dr. Maria Dominguez-Bello von der New York University hat auf diese Frage schon erste wichtige Erkenntnisse geliefert:
Untersucht wurde von den Medizinexperten die Darmflora von Kaiserschnittbabys sowie von natürlich geborenen Kindern. Die Werte wurden verglichen mit den Werten von Säuglingen, bei denen das Vaginal Seeding angewendet wurde. Das Resultat: Die Säuglinge, die nach dem Kaiserschnitt den „Bakterien-Cocktail“ aufgenommen haben, besaßen die gleichen Stämme an nützlichen Darmbewohnern wie natürlich geborene Babys.
Fazit – ein neuer Trend der Geburtshilfe mit einer recht umstrittenen Praxis
Wenn Sie nach einer Kaiserschnittgeburt die Vaginal-Seeding-Methode praktizieren lassen möchten, sollten Sie im Vorfeld mit Ihrem Arzt Rücksprache halten und sich über alle möglichen Gefahren aufklären lassen.
Erste Ergebnisse bestätigen zwar einen positiven Nutzen, doch es gibt noch nicht ausreichende Risikohinweise. Aus diesem Grund raten Ärzte von dieser Methode ab.
Setzen Sie hingegen auf bewährte Alternativen wie zum Beispiel:
- das Stillen des Babys nach der Geburt
- den Verzicht auf die Einnahme von Antibiotika sowie
- eine gesunde, nährstoffreiche Ernährung, die auch ausreichend Probiotika enthält.
Vaginal Seeding – das Wichtigste auf einem Blick
- Beim Vaginal Seeding handelt es sich um einen recht neuartigen Trend aus der Gynäkologie und Geburtshilfe, der bei Kaiserschnittgeburten angewendet wird.
- Das Mikrobiom der mütterlichen Scheidenflora enthält wichtige Abwehrmechanismen, die für das Immunsystem des Säuglings in den ersten Lebensmonaten sehr wichtig sind.
- Babys, die per Kaiserschnitt geboren werden, erhalten die wertvollen Bakterien aus dem Geburtskanal der Mutter nicht.
- Zu diesem Zweck wird kurz vor der Entbindung ein Tupfer oder ein Verband in die Vagina eingeführt. Auf diese Weise sollen die wichtigen Mikroorganismen aufgesaugt werden, um sie später an das Baby weitergeben zu können.
- Nach der Geburt wird der Säugling mit dem Mikrobiom der Mutter eingerieben.
- Diese Methode gilt unter Forschern und Medizinern noch als recht umstritten, da auf diesem Wege auch krankmachende und gefährliche Viren sowie Keime auf das Baby übertragen werden könnten.
Quelle/Studie:
Schreibe einen Kommentar